Bidding-Box, Dummy und gelebte
Ost-West-Partnerschaft …
Dienstagmorgen,
Bürgerhaus Kronshagen. Mehr als 80 Bridgebegeisterte und spielen fast wortlos
Turnierbridge. Nun, ich bin Doppelkopf- und Skatspielerin und da geht es –
manchmal - ganz anders beim Spielen zu. Reizen ohne Worte? Keine geheimen
Zeichen, kein Achten auf Körpersprache, um ein Blatt zu erraten, keine
schwungvoll auf den Tisch geschmetterten Karten, keine lautstarke Freude über
ein gewonnenes Spiel oder entsprechende Fehleranalyse? Meine Neugier ist
geweckt – also mache ich mich auf, um das Geheimnis des ruhigen, distinguierten
Bridgespiels und der Beliebtheit des Bridgeclubs Kronshagen zu ergründen.
Bridge ist ein Kartenspiel, das sich
gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus dem seit dem 16. Jahrhundert bekannten
Whist entwickelt hat. 1925 perfektionierte der Amerikaner Harold S. Vanderbilt
es zur heutigen Form des Kontrakt-Bridges. Damit ist Bridge nicht mehr einfach
ein Kartenspiel, sondern ein seit 1998 – ähnlich wie Schach – anerkannter
(Denk-)Sport. Denn nicht mehr das Kartenglück durch die zufällige Verteilung
von Karten ist entscheidend: Nacheinander wird beim Turnierbridge an mehreren Tischen
immer die gleiche Verteilung an Karten gespielt und die Partner werden
Turniersieger, die dabei mit diesen Karten am erfolgreichsten gespielt haben. „Bridge
ist leicht zu erlernen, jedoch braucht es seine Zeit, um es gut zu spielen.“
schreibt der Deutsche Bridgeverband in seinem Ratgeber „Bridge in 10 Minuten“. Denn
es gehört mehr dazu, als nur die Regeln zu kennen: Mit Kombinationsgabe,
Merkfähigkeit und hoher Konzentration muss man stets die Verteilung der 52
Karten bei allen Mitspielern im Auge behalten. Und da ein Spiel nur sieben
Minuten dauert, braucht man auch eine hohe Flexibilität, um sich über Stunden
schnell auf ständig neue Kartenverteilungen einzustellen. Auch wenn das
Durchschnittsalter beim Bridgeclub Kronshagen bei 71 Jahren liegt, ist Bridge
kein Spiel für „alternde Damen“, sondern erfordert und fördert einen hellwachen
Geist und wird besonders gerne von Mathematikern gespielt.
Man lernt die Grundregeln am besten
in einem Volkshochschul-Kursus oder bei einem privaten Bridgelehrer. Doch erst
die langjährige Spielerfahrung lässt einen in die Tiefen des Spieles vordringen.
So wünschten sich die Teilnehmer eines Kronshagener VHS-Kurses
von Cornelie v. Karger vor 20 Jahren, sich stetig zu verbessern und
Turnierbridge mit Ihresgleichen zu spielen, ohne sich dabei gleich mit den Großen
eines offiziellen Bridgeclubs messen zu müssen. Daraus entstand im August 1996
ein Privatclub mit 22 Mitgliedern; mittlerweile ist der aufstrebende Bridgeclub
Kronshagen auf über 100 Mitglieder angewachsen!
Das liegt nicht zuletzt an der Herzlichkeit und dem großen Organisationstalent mit dem sich Cornelie v. Karger seit Anbeginn an um die aufwändige Vor- und Nachbereitung der Turniere inklusive Auswertung und Statistik am Computer, Pflege der Homepage, Vorbereitung und Durchführung der ganzjährig (bis auf Feiertage) wöchentlich stattfindenden Übungsabende und Turniervormittage kümmert. Die Mitglieder sind voll des Lobes über ihre Turnierleitung, mit der sie mit Freundlichkeit, Ruhe und Kompetenz bei jedem Turnier immer wieder Streitpunkte bei Regelwidrigkeit schlichtet, die beim hochkomplexen Regelwerk bei jedem Bridgeturnier auftreten. Zum Spielen kommt sie dabei z. Zt. nicht mehr, dabei gewann sie 1988 mit ihrer Partnerin Lisa Vink sogar eine Bronzemedaille bei den Deutschen Damenmeisterschaften. „Es kostet viel Zeit und Energie sich um alles zu kümmern, aber es kommt auch so unglaublich viel an Dankbarkeit von den Mitgliedern zurück!“ erzählt die 59jährige voller Begeisterung über ihre Arbeit für den Club. Für sie ist das soziale Miteinander des Clubs sehr wichtig und so gehört auch das Schreiben von Geburtstagskarten und das Kümmern um kranke Mitglieder zu all ihren Aufgaben, denen sie sich mit Herzblut widmet. Sie freut sich, dass auch viele Mitglieder im Club Freunde gefunden haben und die sozialen Kontakte auch über den Dienstag hinaus bestehen. „Es gibt Clubs, bei denen mit „aufgepflanztem“ Messer und ohne Fehlernachsicht auf hervorragendem Niveau ehrgeizig gespielt wird. Unser Niveau ist gut, aber für uns ist das menschliche Miteinander mindestens ebenso wichtig!“ erläutert C. v. Karger.
Über das wöchentlich stattfindende
Turnierbridge, fünf große Turniere im Jahr, ein Sommerfest und das gute
Miteinander hinaus zeichnet sich der Bridgeclub Kronshagen auch durch soziale Aktivitäten
aus. Ganzjährig nähen und stricken Christa Brzoza und
Bärbel Reichel bzw. kochen mit Sibylle Rusch unermüdlich Marmelade für Basare
oder organisieren Bücherflohmärkte, Kuchenverkauf und mehr. Besonders beliebt
sind auch die filigranen Scherenschnitte von Eva-Maria Micheel.
Zusammen mit dem Erlös eines Benefizturniers kommen im Jahr vierstellige Summen
zusammen, die der Kieler Hospizvereinigung oder für soziale Kinderprojekte in
Kronshagen gestiftet werden.
Und was hat es mit der Bidding-Box, den Dummies und der gelebten Ost-West-Partnerschaft aus der Kopfzeile auf sich? Die Bidding-Box („Biet-Box“) ist eine Kartenbox und ermöglicht das wortlose Reizen, so dass nicht durch Tonfall, Verzögerungen etc. Informationen an den Partner weitergegeben werden können. Und wenn eine Partei die Reizung gewonnen hat, wird der eine Spieler zum Alleinspieler und der Andere legt seine Karten offen vor sich auf den Tisch und spielt seine Karten nur noch nach Anweisung des Partners: Er wird zum Dummy. Die Partner sitzen sich beim Spiel jeweils gegenüber und werden nach den Himmelsrichtungen benannt. So sind Ost und West Partner und spielen gegen Nord und Süd…gelebte Ost-West-Partnerschaft, selbst während der Jahre des Kalten Krieges…Bridge ist eben nicht einfach nur ein Kartenspiel! Text: Silke Umlauff